Peter

"Wozu fahren die Leute immer so weit in den Urlaub? Wir leben doch hier wie im Paradies. Essen, wenn man Hunger hat, Hinlegen wenn man müde ist. Mehr braucht man doch garnicht!"

Der aktuelle Wetterbericht schallt laut aus Peters Haus durch das kleine Bauerndorf. Es riecht nach feuchtem Gemäuer und kaltem Rauch. Dieser umhüllt jeden Gast beim Betreten des Zimmers, in dessen Mitte Peter sitzt.


Er ist umringt von Werkbänken, die mit verstaubten, bunten Tüchern bedeckt sind. Hier hat er immer seinen Schmuck hergestellt, den er auf Festivals und Weihnachtsmärktern verkauft hatte. Im Nebenraum stapeln sich Kartons von bunten Tüchern und Klamotten. Wenn er mal zu faul zum Waschen ist, zieht er sich einfach etwas neues aus der Kiste. Im Sommer läuft der Ventilator, im Winter wärmt ein kleiner Ofen. Mittlerweile rechnet sich das Geschäft mit dem Marktstand nicht mehr. Allein die Standgebühren und der Aufbau kosten so viel Zeit, Geld und Kraft, dass man das Ganze auch gleich lassen kann.

Peter aber sitzt immer noch hier. Denn hier hat er es sich gemütlich eingerichtet. Er raucht, er trinkt sein Bier, und er liest. Bei Freunden sammelt er sich hin und wieder die Zeitungen vom Vortag und die Zeitschriften von letztem Monat ein. Ob er nun ein paar Tage hinterher ist, ist ihm egal. Sein Radio läuft eh den ganzen Tag.


Früher, in den Chaotenzeiten, lebte er überall und nirgendwo. Er war durch seine Flucht vor dem Wehrdienst lange auf Reisen, lebte zeitweise in Parks, im VW-Bus oder in Kommunen. Dort stapelte sich das Geschirr in den Badewannen, weil keiner Bock hatte abzuspülen. In diesen Situationen sehnte er sich immer nach einem eigenen Haus. Heute hat er sein Reich, viel Raum und Freiheit, und sitzt trotzdem nur auf diesem einen Stuhl.

Denn Laufen ist für ihn zur Qual geworden. Verkalkte Blutgefäße in den Beinen sorgen dafür, dass er nur noch wenige Meter am Stück gehen kann. Zum Pinkeln geht er manchmal nur vor die Tür, so spart er sich die Treppen nach oben. Früher bestellte er einen großen Garten, baute alles mögliche selbst an. Er züchtete jährlich einen riesigen Kürbis, den er zu Erntedank der Kirche schenkte. Heute sind es nur noch ein paar Kübelpflanzen im Wintergarten. Eine Gurke kostet bei Penny 39 Cent. Lohnen tut es sich nicht mehr, vor allem wenn der Körper bei jeder Bewegung klagt.


Alle paar Monate kommt zudem sein Ausschlag. Peters Qualen steht auf dem kleinen Fotoalbum, in dem er die schlimmsten Phasen fotografisch festhält. Jahrelang hatte er alle erdenklichen Behandlungsmethoden probiert. Am Ende war ihm persönlich der Alkohol die effektivste und kostengünstigste Lösung.

Bei einem Allergietest wurde ihm bescheinigt, dass er auf 47 von 50 gestesteten Substanzen allergisch reagiert. Jeglicher Verzicht hatte aber keine Besserung zufolge. Der wahre Auslöser seines Ausschlags liegt weiter im Verborgenen.


In der ganz schlimmen Zeit trinkt er wesentlich mehr Bier als sonst. Das ist meist im Sommer, durch den Schweiß und die heißen Nächte. Trotz Alkohol kann er kaum schlafen. Er bindet sich die Hände ein, um seine nässende Haut vor dem Austrocknen zu schützen und um sich nicht im Schlaf wund zu kratzen.

Spätestens wenn die Vögel anfangen zu brüllen, wacht Peter auf. Im Sommer ist das meist schon kurz nach 4 Uhr. Er setzt sich auf die Bank und hört schlaftrunken zu. Es sind nicht mehr so viele heutzutage. Amseln, Spatzen...früher war jedenfalls viel mehr zu hören. Die Frühstückszigarette, dann der Gang in das bekannte Zimmer. Radio an. Bier auf. Guten Morgen, Peter.